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"Schreiben für die Seele: Tipps für das autobiografische Schreiben"
von Heike Thormann
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
Autobiografisches Schreiben ist mehr, als nur seine Lebensgeschichte zu schreiben. Wer über sein Leben schreibt und dieses schreibend betrachtet, schreibt in erster Linie für sich selbst und für seine Seele. Warum das so ist und wie Sie dazu vorgehen können, erfahren Sie hier.
Warum autobiografisch schreiben?
Manche Menschen wollen ihre Lebensgeschichte schreiben, mit ihr an die Öffentlichkeit gehen, sie der Nachwelt hinterlassen oder ihrer Familie schenken. Das sind auch die, die oft ein ganzes Buch anstreben.
Doch viele Menschen wollen mit autobiografischem Schreiben auch nur ihr Leben Revue passieren lassen, es schreibend begreifen. Sie schreiben, weil es ihnen guttut oder weil sie damit bestimmte Dinge aufarbeiten wollen.
In diesem Artikel soll es um Letzteres gehen.
Wobei kann das autobiografische Schreiben helfen?
Ausdrücken und lösen
Schreiben kann helfen, etwas auszudrücken und zu lösen. So ist es zum Beispiel bei Krankheiten, Schicksalsschlägen, Trauerfällen, Verlusten, Misserfolgen und Ähnlichem hilfreich, sich den Schmerz von der Seele zu schreiben. Denn noch immer sind solche Themen in unserer Gesellschaft oft tabu. Entsprechend haben wir nie gelernt, damit umzugehen. Auch Ängste, Sorgen, Zweifel, die wir in unserem Kopf sitzen haben und nicht ausdrücken können, können vergiften und blockieren. Schreiben kann dann ein Ventil sein, befreien und lösen.
Verarbeiten und verstehen
Schreiben kann auch helfen, etwas zu verarbeiten und sich selbst besser zu verstehen. Die Rückschau erlaubt uns, Muster zu sehen und zu begreifen, „Altlasten“ zu bereinigen oder bestimmte Situationen besser zu durchschauen. Schreiben kann ein Instrument sein, sich selbst, die eigenen Gedanken, Wünsche, Antriebe zu hinterfragen, neue Eigenschaften auszubilden und andere zu verlernen. Autobiografisch zu schreiben und über sein eigenes Leben zu schreiben, kann Persönlichkeitsentwicklung pur sein.
Umformen und Sinn geben
Damit können Schreiben und autobiografisches Schreiben auch helfen, das aktuelle Leben zu gestalten. Denn unsere Erinnerungen sind keine detailgetreue Wiedergabe der Vergangenheit. Wir selbst und unsere jeweilige Sichtweise entscheiden, woran wir uns erinnern und wie wir uns erinnern. Wir wählen aus und interpretieren.
So ähnlich geht zum Beispiel mein Kurs „Schreiben Sie die Geschichte Ihres Lebens“ vor. Das autobiografische Schreiben ist hier kein Selbstzweck. Stattdessen hat der Kurs eine starke Zukunftsorientierung. Nach dem Motto: Wer sich kennt und weiß, wie er „tickt“, kann seine Zukunft und sein Leben besser gestalten.
Für den Einstieg in das autobiografische Schreiben habe ich einige Tipps für Sie.
Tipps für das autobiografische Schreiben
Eines vorweg: Da es oft darum geht, autobiografisch zu schreiben, und nicht darum, seine Autobiografie zu schreiben, ist es nicht so wichtig, ob Sie möglichst schön schreiben. Die Qualität Ihrer Texte ist nur dann interessant, wenn Sie mit dem Gedanken spielen, Ihre Lebensgeschichte als Buch herauszubringen. Hängen Sie sich also bitte nicht daran auf, an Formulierungen zu feilen. :-)
Viel wichtiger sind im autobiografischen Schreiben diverse Formen, sich zu erinnern. Es ist zwar, wie gesagt, eine Tatsache, dass wir uns nie daran erinnern, wie etwas „wirklich war“. (Ganz davon abgesehen, dass dies sowieso immer im Auge des Betrachters liegt.) Unsere Erinnerungen hängen davon ab, wie wir über etwas denken. Doch ohne Erinnerungen geht es auch nicht. Manche liegen uns sofort auf der Hand. Andere haben wir vielleicht aus Scham oder Schuldgefühl verdrängt. Umso wichtiger ist es, dass wir versuchen, sie herauszukitzeln.
Foto-Alben sind eine gute Möglichkeit, sich zu erinnern. Dia-Abende, Familien-Videos, Tagebücher, alte Briefe und Dokumente. Alles, was Ihnen hilft, die entsprechenden Anlässe Revue passieren zu lassen. Oder altes Kinderspielzeug, Muscheln vom Strandausflug – versetzen Sie sich in Gedanken in diese Zeit und frischen Sie Ihre Erinnerungen auf.
Eine andere Möglichkeit wäre, ein wenig um die Ecke zu denken. Fördern Sie Erinnerungen zutage, die nicht so klar mit etwas verbunden sind. Sehen Sie zum Beispiel aus dem Fenster. Sehen Sie sich das letzte Blatt am nackten Baum gegenüber an. Fragen Sie sich: Woran erinnert mich das? Was fällt mir dazu ein? Vielleicht taucht blitzartig eine Erinnerung vor Ihrem geistigen Auge auf, wie Sie als Kind singend durch Blätterhaufen gestürmt sind oder heiße Maronen gegessen haben. Folgen Sie diesen Bildern.
Oder nutzen Sie das nächste Klassentreffen und wandern Sie durch Ihre alte Schule. Schnuppern Sie an der alten Tafel, streifen Sie mit der Hand über die leeren Bänke. Ganze Schülergenerationen haben vielleicht darauf gesessen. Können Sie Ihr altes Ich sehen? Welche Anekdoten fallen Ihnen dazu ein? Welche Dramen? Welche Freuden?
Wenn Sie ein bestimmtes Ereignis aufarbeiten wollen, kann es auch sinnvoll sein, mit einem Fragenkatalog zu arbeiten. Rufen Sie sich die Szene wieder ins Gedächtnis und fragen Sie sich zum Beispiel:
Ich erwähnte es oben schon: Manche Erinnerungen wollen einfach nicht. Wir haben sie zu tief in uns vergraben, sie abgeschüttelt oder vielleicht auch nie bewusst wahrgenommen.
Versuchen Sie dann, sie zu locken. Schreiben Sie zum Beispiel Julia Camerons Morgenseiten [dazu folgt noch ein Artikel] oder machen Sie ein kleines Freewriting: Schreiben Sie automatisch, ohne zu gestalten. Überlegen Sie sich beispielsweise ein Thema und schreiben Sie drauflos. Ohne Punkt und Komma, so unzensiert wie möglich. Es geht nicht darum, „richtige“ Texte zu schreiben. Es geht eher darum, sich sozusagen in „Trance“ zu schreiben und alles an Gedanken herauszulassen, was Sie zu diesem Thema in sich tragen.
Oft sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wir können viele einzelne Szenen wiedergeben, aber welches Grundmuster dahintersteht, entgeht uns. Doch es gibt auch Schlagworte, Momente, Bilder, die dieses Grundmuster deutlicher verkörpern. Suchen Sie nach ihnen.
Das können etwa „geflügelte Worte“ sein, die in Ihrer Familie kursieren und unterschwellige Werte und Glaubenssätze beinhalten. Sätze wie: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Oder: „Die da oben machen mit uns sowieso, was sie wollen.“ Bringen Sie so etwas noch mit Ereignissen aus Ihrem Leben zusammen und das Muster müsste klar werden.
Oder überlegen Sie einmal, welches Lieblingszitat Sie angeben, wenn Sie danach gefragt werden. Erstens wird es wahrscheinlich im Laufe Ihres Lebens wechseln. Und zweitens sagt es natürlich auch immer etwas über Sie selbst und Ihre aktuelle Sicht auf Ihr Leben aus.
Wer autobiografisch schreibt, schreibt oft allein. Doch das muss nicht sein. Schnacken Sie per E-Mail über Ihre letzten Abenteuer bei der Suche nach der neuen Wohnung. Suchen Sie sich jemanden, dem Sie von persönlichen Hochs und Tiefs schreiben können.
Wie gesagt, unsere Kultur umgibt oft ein Tabu, was Ängste, Tod, Niederlagen und Ähnliches angeht. Es fällt uns schwer, darüber zu reden. Schreiben macht es leichter, sich etwas – genau – von der Seele zu schreiben. Und es tut gut, wenn wir Menschen haben, die uns zeigen, dass wir (damit) nicht allein sind.
Und noch einmal: Autobiografisches Schreiben ist nicht nur Verarbeitung. Wir formen damit auch unsere Sicht von der Welt. Das bedeutet, wir bestimmen, ob wir uns zum Beispiel über eine schwere Kindheit grämen oder auch die guten Seiten darin sehen. Wir bestimmen, ob wir einen Job für einen Fehlschlag halten oder sehen, was wir daraus mitnehmen.
Suchen Sie nach schönen Momenten und nach und nach werden Ihnen immer mehr einfallen. Dadurch wird nicht plötzlich alles rosarot erscheinen, doch es wird ausgewogener werden.
Schreiben Sie es sich von der Seele – und schreiben Sie für die Seele. Ihr Leben ist die Quelle – und zugleich das Ziel dafür. :-)
Erinnerungen aktivieren
Foto-Alben sind eine gute Möglichkeit, sich zu erinnern. Dia-Abende, Familien-Videos, Tagebücher, alte Briefe und Dokumente. Alles, was Ihnen hilft, die entsprechenden Anlässe Revue passieren zu lassen. Oder altes Kinderspielzeug, Muscheln vom Strandausflug – versetzen Sie sich in Gedanken in diese Zeit und frischen Sie Ihre Erinnerungen auf.
Eine andere Möglichkeit wäre, ein wenig um die Ecke zu denken. Fördern Sie Erinnerungen zutage, die nicht so klar mit etwas verbunden sind. Sehen Sie zum Beispiel aus dem Fenster. Sehen Sie sich das letzte Blatt am nackten Baum gegenüber an. Fragen Sie sich: Woran erinnert mich das? Was fällt mir dazu ein? Vielleicht taucht blitzartig eine Erinnerung vor Ihrem geistigen Auge auf, wie Sie als Kind singend durch Blätterhaufen gestürmt sind oder heiße Maronen gegessen haben. Folgen Sie diesen Bildern.
Oder nutzen Sie das nächste Klassentreffen und wandern Sie durch Ihre alte Schule. Schnuppern Sie an der alten Tafel, streifen Sie mit der Hand über die leeren Bänke. Ganze Schülergenerationen haben vielleicht darauf gesessen. Können Sie Ihr altes Ich sehen? Welche Anekdoten fallen Ihnen dazu ein? Welche Dramen? Welche Freuden?
Etwas aufarbeiten und analysieren
Wenn Sie ein bestimmtes Ereignis aufarbeiten wollen, kann es auch sinnvoll sein, mit einem Fragenkatalog zu arbeiten. Rufen Sie sich die Szene wieder ins Gedächtnis und fragen Sie sich zum Beispiel:
- Was ist alles passiert? Was habe ich erlebt?
- Was davon war mein Anteil? Was habe ich getan?
- Was war gut, was war schlecht? Was habe ich gelernt?
- Was bedeutet das für mich, mein Leben und meine Zukunft?
- Welche Konsequenzen will ich daraus ziehen?
Es aus dem Unterbewusstsein locken
Ich erwähnte es oben schon: Manche Erinnerungen wollen einfach nicht. Wir haben sie zu tief in uns vergraben, sie abgeschüttelt oder vielleicht auch nie bewusst wahrgenommen.
Versuchen Sie dann, sie zu locken. Schreiben Sie zum Beispiel Julia Camerons Morgenseiten [dazu folgt noch ein Artikel] oder machen Sie ein kleines Freewriting: Schreiben Sie automatisch, ohne zu gestalten. Überlegen Sie sich beispielsweise ein Thema und schreiben Sie drauflos. Ohne Punkt und Komma, so unzensiert wie möglich. Es geht nicht darum, „richtige“ Texte zu schreiben. Es geht eher darum, sich sozusagen in „Trance“ zu schreiben und alles an Gedanken herauszulassen, was Sie zu diesem Thema in sich tragen.
Nach einem Teil fürs Ganze suchen
Oft sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wir können viele einzelne Szenen wiedergeben, aber welches Grundmuster dahintersteht, entgeht uns. Doch es gibt auch Schlagworte, Momente, Bilder, die dieses Grundmuster deutlicher verkörpern. Suchen Sie nach ihnen.
Das können etwa „geflügelte Worte“ sein, die in Ihrer Familie kursieren und unterschwellige Werte und Glaubenssätze beinhalten. Sätze wie: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Oder: „Die da oben machen mit uns sowieso, was sie wollen.“ Bringen Sie so etwas noch mit Ereignissen aus Ihrem Leben zusammen und das Muster müsste klar werden.
Oder überlegen Sie einmal, welches Lieblingszitat Sie angeben, wenn Sie danach gefragt werden. Erstens wird es wahrscheinlich im Laufe Ihres Lebens wechseln. Und zweitens sagt es natürlich auch immer etwas über Sie selbst und Ihre aktuelle Sicht auf Ihr Leben aus.
Nach Zuhörern suchen
Wer autobiografisch schreibt, schreibt oft allein. Doch das muss nicht sein. Schnacken Sie per E-Mail über Ihre letzten Abenteuer bei der Suche nach der neuen Wohnung. Suchen Sie sich jemanden, dem Sie von persönlichen Hochs und Tiefs schreiben können.
Wie gesagt, unsere Kultur umgibt oft ein Tabu, was Ängste, Tod, Niederlagen und Ähnliches angeht. Es fällt uns schwer, darüber zu reden. Schreiben macht es leichter, sich etwas – genau – von der Seele zu schreiben. Und es tut gut, wenn wir Menschen haben, die uns zeigen, dass wir (damit) nicht allein sind.
Neu programmieren
Und noch einmal: Autobiografisches Schreiben ist nicht nur Verarbeitung. Wir formen damit auch unsere Sicht von der Welt. Das bedeutet, wir bestimmen, ob wir uns zum Beispiel über eine schwere Kindheit grämen oder auch die guten Seiten darin sehen. Wir bestimmen, ob wir einen Job für einen Fehlschlag halten oder sehen, was wir daraus mitnehmen.
Suchen Sie nach schönen Momenten und nach und nach werden Ihnen immer mehr einfallen. Dadurch wird nicht plötzlich alles rosarot erscheinen, doch es wird ausgewogener werden.
Schreiben Sie es sich von der Seele – und schreiben Sie für die Seele. Ihr Leben ist die Quelle – und zugleich das Ziel dafür. :-)
Copyright Heike Thormann
Auf dieser Webseite veröffentlicht am 10.7.2024
Erstveröffentlichung 2011, letzte Überarbeitung 2024
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